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Veröffentlichung:
"FATZER"
1987 am BERLINER ENSEMBLE in der Regie von Wekwerth/Tenschert
mit
"Herr
Puntila und sein Knecht Matti" 1995 am "neuen
theater halle" mit Hilmar Eichhorn,
"Herr
Puntila und sein Knecht Matti"
2001 "Jedermann" im Dom zu Halle
2003
in Halle: "Doktor Faustus"
2003
in Halle:
|
Zerstörung
von Kultur Beitrag zum 2. Kulturforum
der DKP in Nürnberg
Revolutionäre - und ich zähle Marxisten auch in nicht-revolutionären Zeiten zu ihnen - wissen eigentlich recht gut, was Kultur ist. Nicht nur weil sie im Laufe ihrer Geschichte große kulturelle Leistungen - denkt man allein an Literatur, Filme, Musik - hervorgebracht haben, sondern vor allem weil der Marxismus selbst ein bemerkenswerter Teil der menschlichen Kultur ist. Denn er ist, wie ich meine, der bisher größte Versuch der Menschen, sich eine menschliche Lebensweise zu schaffen. Dazu ist es nötig, die "verordnete Unordnung und planmäßige Willkür", womit das Kapital seit langem seine Herrschaft ausübt und erweitert, durch eine, wie Brecht in seinem "ME-TI-Buch der Wendungen" sagt, "Große Ordnung" zu ersetzen. "Aber", so ergänzt Brecht, "hütet euch vor Leuten, die euch predigen, ihr seid dazu da, die Große Ordnung zu verwirklichen, die als Theorie fertig vorliege und nur verwirklicht werden müsse. Das sind Pfaffen. Sie lesen wieder einmal irgend etwas in den Sternen, was ihr machen sollt. Bisher wart ihr für die große Unordnung da, nun sollte ihr für die Große Ordnung da sein. In Wirklichkeit handelt es sich für euch doch darum, endlich eure Angelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen und zu ordnen; dies machend schafft ihr die Große Ordnung." Und mit Marx könnte man fortfahren: "Denn der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus den Voraussetzungen jetzt und hier." Die Pariser Communarden warteten 1871 zum Beispiel nicht erst auf bessere Zeiten, um den Menschen eine bessere Lebensweise zu schaffen. In den ersten Tagen ihre nur 72 Tage dauernden Volksherrschaft, noch während der Kämpfe mit den Versaillern und den Preußen, und im ständigen Kampf gegen den Hunger, erließ der Rat der Commune seine ersten Dekrete: über "Die Achtung der Menschenwürde", über den "Erlaß der Wechselschulden für die Bevölkerung", über die "Begrenzung der Regierungsgehälter auf den Lohn der Arbeiter", über die "Abschaffung der Nachtarbeit in den Bäckereien", über "Stundung der Mieten", über die "Reorganisation der medizinischen Hochschulen", über die "Wiedereröffnung der Theater", über die "Bildung einer Kommission für Frauenrechte". 1945, noch bevor die Kämpfe gegen die Faschisten zu Ende waren, verteilte die Rote Armee nicht nur Brot an die hungernde Bevölkerung, sondern gleichzeitig auch Werke der Literatur (so lernte ich zum Beispiel Tschechow, Gorki, Scholochow, Gladkow kennen, von deren Existenz ich überhaupt erst auf diese Weise erfuhr), sie veranstaltete mitten in den Trümmern Konzerte mit Werken von Tschaikowski und Schostakowitsch; und einer der ersten Befehle des Marschall Shukow betraf die Wiedereröffnung der Theater. Die das heute als kommunistische Propaganda verleugnen, verschweigen, daß es "Nathan der Weise" war, mit dem in Berlin das Deutsche Theater eröffnet wurde, und daß die Rote Armee, um die Aufführung zu ermöglichen, das Material für die Kulissen zur Verfügung stellte. 1949, im schwierigen ersten Jahr ihrer Existenz, als Beseitigung der Kriegschäden und Wiederaufbau alle Kräfte und Mittel in Anspruch nahmen, eröffnete die DDR eine "Arbeiter- und Bauern-Fakultät", an der jene studierten konnten, die sich bis dahin aus sozialen Gründen vom Studium ausgeschlossen waren. 1959, während die Kämpfe gegen das reaktionäre Batista-Regime noch in vollem Gange waren, begann die kubanische Revolution mit einer Alphabetisierung vor allem der ländlichen Bevölkerung, wie es sie bis dahin in der Geschichte Lateinamerikas noch nicht gegeben hat. Später, im ständigen Würgegriff des USA-Imperialismus, entwickelte sich in Kuba ein nicht nur für Lateinamerika einmaliges Gesundheitswesen. Trotz der durch das US-Embargo schwierigsten wirtschaftlichen Situation erfolgte die Eröffnung der Havanna- Universität, die Ärzte auch für viele lateinamerikanische Länder ausbildet und deren Germanistik inzwischen Weltrang hat. Und Revolutionäre waren es, die - in den sozialistischen Ländern zur Macht gekommen - sofort eine der bedeutsamsten Forderungen der menschlichen Kultur als Verfassungsartikel verwirklichten: das Recht auf Arbeit. Das sind nur einige Beispiele. Und man wird sich fragen, warum ich hier aufzähle, was eigentlich bekannt ist, auch weil es von bürgerlichen Männern und Medien so hartnäckig geleugnet wird? Für mich gibt es da eine
Merkwürdigkeit. Ich will es einmal so formulieren:
Warum haben die, die - wie der Alterspräsident
des Rates der Pariser Commune auf der letzten
Sitzung im Mai 1871 sagte - "In wenigen
Tagen mehr für die Würde der Menschen
geleistet (haben) als andere Regierungen nicht
in Jahrhunderten" -, warum haben also Revolutionäre,
die in die Geschichte der Arbeiterbewegung für
die Kultur der Menschen an Wissen, Erfahrung,
Kunst, an Denk- und Lebensweise so viel eingebracht
haben, oft Schwierigkeiten, wenn es um den "Kulturbegriff"
im Alltag geht? Wenn in der politischen Arbeit
zum Beispiel aus Kultur nur noch "kulturelle
Umrahmung" wird? Wenn man schon allein
deshalb "kulturvoll" ist, wenn man
mit Gesangseinlagen politische Versammlungen
"attraktiver" machen will? Oder wenn
ein Streichquartett zu Ehren irgend eines verdienten
Jubilars ausreicht, um von "Kulturbetreuung"
zu sprechen? Oder wenn, wie ich es gerade in
Berlin erlebt habe, die Veranstaltung zum 120.
Geburtstag von Ernst Thälmann geteilt wird
in einen "Kulturteil", den ich mit
einigen Schauspielern und Musikern bestritt,
und den "Inhaltlichen Teil", womit
die Reden der Politiker gemeint sind? Hanns Eisler, nicht nur ein großer Musiker, auch ein Philosoph von Rang und Humor, sagte einmal, daß man auf diese Weise von Karl Marx wieder auf den Heiligen Augustinus zurückgreift. Der Heilige Augustinus gab nämlich auf die Frage, wozu die Musik da sei, die Antwort "Damit sich die Gemeinde die Psalmen besser merkt." Aber vielleicht ist es gerade
das Bewußtsein, "daß",
wie Franz Mehring ebenfalls sagt, "der
Kampf des Proletariats die kulturvollste Sache
der Menschheit ist", vielleicht
ist es gerade diese historische Sicherheit,
die uns im politischen Alltag hindert, in jeder
neuen Situation über Kultur auch immer
wieder erneut nachzudenken. Lenin sprach 1921
auf einem kommunistischen Jugend-Kongreß
davon, daß eine Weiterführung der
Revolution davon abhänge, ob es gelingt,
das kulturelle Niveau der Massen, das niedrig
sei, zu heben. Lenins Bemerkung, Sozialismus
herrsche da, wo auch die Köchin den Staat
regiert, zitiert man gern. Aber das Zitat geht
weiter: "Und genau
das muß sie lernen." Ich möchte also den Versuch
unternehmen, noch einmal über den - oder
sollte ich besser sagen - unseren Kulturbegriff
nachzudenken. Dabei erinnere ich mich an ein
erstes Gespräch, das ich als Neuankömmling
im Berliner Ensemble mit Brecht hatte. Ich erzählte
ihm begeistert von der großen Wirkung,
die besonders eine Zeile aus seinem Gedicht
LOB DER DIALEKTIK auf mich gemacht hat: "Wer
seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten
sein?" Seine Antwort damals verblüffte
mich einigermaßen: " Ja, ja, Brechts
Slogans sind eben die besten". Nicht nur, weil sich im August
der Todestag von Brecht zum 50. Mal jährt,
sondern weil ich Brechts Vorschlag für
Grundschulen als eine außerordentlich
praktikable dialektische Methode auch für
das Erwachsenenalter halte, will ich, was den
Kulturbegriff betrifft, auch in diesem Fall
nach Brecht verfahren.
Sicherlich fordert es die Kritik linker Philosophen geradezu heraus, wenn ich nun bei der Darstellung der Zerstörung von Kultur "narrativ" vorgehen möchte, denn das bedeutet unter linken Philosophen mindesten so viel, wie die 8. Todsünde zu begehen. Aber ich will nicht besonders "postmodern" sein, sondern ich sage mir, über die Zerstörung von Kultur infolge der kapitalistischen Produktionsweise, die durch totale Vermarktung immer mehr Entfremdung, Verdinglichung und Verrätselung der menschlichen Beziehungen hervorruft, und auch über Massenmedien, die Kultur zerstören, indem sie Kultur zum Kult machen, gibt es in letzter Zeit von Seiten der linken Philosophie wirklich gute und manchmal auch lesbare Veröffentlichungen. Darum möchte ich das Thema "narrativ" behandeln, kurz, ich will zwei Geschichten erzählen. Die erste handelt vom Massenmedium Fernsehen und dem Versuch, ein Stück DDR-Geschichte noch vor der Sendung ungeschehen zu machen, damit verhindert wird, daß der Zuschauer heutige Zustände mit den damaligen vergleicht und die damalige Zustände vielleicht falsch, das heißt positiv beurteilt. Es ist dies ein klassischer Fall von "institutioneller Kulturzertrümmerung". Die zweite Geschichte handelt von einem deutschen Professor, der eine umwerfende kulturelle Entdeckung macht, mit der er den Markt, in diesem Fall den Markt der Brecht-Verwurstung, zurückerobern will, und feststellen muß, daß seine neue Entdeckung ein alter Hut ist und er es selbst war, der das vor einigen Jahren bewiesen hat. Hier liegt ein Fall von "tuistischer Kulturzerstörung" vor, benannt nach Brechts Begriff des "TUISMUS", einer besonders bei deutschen Professoren zu beobachtenden intellektuellen Rückentwicklung. Insofern ist die zweite Geschichte nicht ohne Humor. Die erste Geschichte Das Berliner Ensemble hatte bis
1989 einen ständigen Kontakt zu "Buna".
"Buna" das ist die Kurzbezeichnung
für "Petrolchemisches Kombinat Buna-Merseburg",
ein Betrieb in der unmittelbaren Nähe der
Stadt Halle, der Plaste für das In- und
Ausland herstellte. Vier bis fünfmal im
Jahr kamen etwa 700 Betriebsangehörige,
darunter vor allem Arbeiter, in die Vorstellungen
des Berliner Ensemble. Der Betrieb mietete zu
diesem Zweck bei der Bahn einen ganzen Zug,
der die Leute früh nach Berlin brachte,
wo sie tagsüber Zeit hatten, sich Berlin
anzusehen, abends kamen sie dann in unsere Vorstellungen
und fuhren nachts zurück. Die Kosten trug,
bis auf einen symbolischen Betrag von 5 Mark
pro Theaterkarte, der Betrieb, der eigens dafür
mit gewerkschaftlicher Unterstützung einen
Theater-Kulturfonds einrichtete. Heute lese ich auch bei linken Theoretikern, daß so etwas wie in Buna eigentlich nicht möglich ist, da erst das Ende der "Erwerbsarbeitsgesellschaft" solche Möglichkeiten schaffe. Erst wenn die "Erwerbsarbeit" aufhöre, gebe es genügend Freizeit für eine individuelle Beschäftigung mit Kultur. Erst die "kulturalistische Wende", wie es fachlich heißt, ersetzt Arbeit durch Kultur, und ermöglicht so den Sprung vom "Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit". Die menschliche Entwicklung wird von da an nicht mehr durch die Arbeit an irgend einem fordistischen Fließband bestimmt, sondern in der Freizeit durch selbstbestimmte Beschäftigung mit schönen Dingen wie Bildung, Reisen. Musizieren, Malen, Schreiben usw. Der "Bürger ohne Arbeit" (so lautet der Titel eines neuen Buches) kann endlich, wie Marx es ja schon immer wollte, durch "Vermehren der freien Zeit, d. h. der Zeit für die volle Entwicklung des Individuums" zu sich selbst finden und so Entfremdung, Verdinglichung, Fremdbestimmung usw. aus eigener Kraft aufheben. Einige sprechen sogar davon, daß die hohe Zahl der Arbeitslosen im Osten, deren Rate schon mancherorts die 30-%-Marke übersteigt, gar keine Katastrophe sei, sondern Vorbote der Zukunft. Statt davor zu erschrecken, sollte man begreifen, daß die Arbeitslosen im Osten die "Avantgarde" sind, die dem Westen die künftige Gesellschaftsform nach dem Ende der "Arbeitsgesellschaft" bereits vorleben. Nach meinen Erfahrungen in Buna habe ich da so meine Zweifel, ob wirklich die Arbeit aufhören muß, damit die Freizeit anfangen kann. Wie ich überhaupt meine Zweifel habe, wenn von Arbeit nur noch als von "Erwerbsarbeit" gesprochen wird und überhaupt nicht mehr von "produktiver Lebenstätigkeit", die ja, wenn ich Marx richtig verstanden habe, mehr umfaßt als das Abrackern am Fließband. Sicher, die Arbeit in einem Chemiebetrieb wie Buna wurde nicht leichter, wenn daneben noch Kulturarbeit stattfand. Aber da es am gleichen Ort, eben am Ort der Produktion, geschah, wo beides "Notwendigkeit und Freiheit", also Arbeit und "Spiel" sich miteinander verbanden, erlebten die Produzenten Arbeit und Kultur eben nicht als sich ausschließende Gegensätze, sondern als zwei Möglichkeiten einer Sache: eben der produktiven Lebenstätigkeit, für Marx zugleich Produkt als auch Quelle des menschlichen Wesens. Ja, man bekam eine Ahnung davon, wie vielleicht einmal Lebensgenuß nicht als das Gegenteil von Arbeit empfunden wird. sondern gerade in der Gesamtheit bewußter Tätigkeit des Menschen entsteht. Wir konnten in Buna beobachten, wie selbst die für den einzelnen manchmal drückenden Probleme in der Produktion ihre bedrückende Schicksalhaftigkeit verloren, wenn sie von der Theatergruppe spielend oder im Literaturzirkel schreibend dargestellt, und damit öffentlich gemacht wurden. Das Schicksal wurde hier sozusagen sozialisiert. Es schien sich bei den Begegnungen in Buna zu bewahrheiten, was Brecht in seinem Stück "Die Tage der Commune" den Maurer "Papa" sagen läßt: "Denn wozu leistet man etwas? Dafür, daß man sich etwas leistet." Soweit die Vorgeschichte. Denn
Buna existiert nicht mehr. Es wurde wie vieles
"abgewickelt", das heißt planmäßig
zerstört. Das berühmte Kulturhaus
steht zwar noch, ist aber baufällig und
soll demnächst unter Wert an einen Investor
verkauft werden, der daraus eine Diskothek machen
will. Auch die fünftausend Beschäftigten
gibt es noch, sie sind heute tatsächlich
"Bürger ohne Arbeit", jedenfalls
die älteren. Die jüngeren sind zum
großen Teil, wie es heute schon wieder
heißt, "nach dem Westen abgewandert",
da sie Arbeit dort suchen, wo sie eventuell
noch Arbeit finden. Für die Stadt Halle
zum Beispiel bedeutet das einen Verlust von
etwa 100 000 Einwohnern und die Sorge, daß
Halle eine Stadt der Rentner wird. Buna selbst
ist heute ein bedeutungsloser Ort, perspektivlos,
zukunftslos, hoffnungslos.
" Natürlich war das
Kultushaus Buna ein interessantes Experiment
und es hat dort ja auch zeitweise gute Kunst
stattgefunden, bis es in den späteren Jahren
immer mehr - wie alles andere auch - verflachte.
Dennoch fehlt mir in dem vorliegenden Exposé
die Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff
der DDR/Sowjetunion und mit dessen propagandistisch
manipuliertem Zweck, und eine Erklärung
des Phänomens "Kulturhaus". Ein
eigenwilliger, analytischer und ausreichend
geschichtsbewußter Zugang an das Thema
ist nicht zu erkennen. Im Vergleich zu anderen
Dokumentarfilmen, die aus unserem Programmbereich
kommen, ist der vorliegende Projektvorschlag
unzureichend kritisch bis nostalgisch. Am 31. Oktober 2004, also fast zur gleichen Zeit, strahlte der MDR in seinem Kulturmagazin ARTOUR einen Beitrag aus, in dem es auch um ein Kulturhaus ging. Denn der "Kulturpalast" des einstigen Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld war an diesem Tag vor 50. Jahren eröffnet worden, was von dem Moderator in folgender Weise kommentiert wurde: Ulbricht habe den Arbeitern des
Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld, um sie
ruhig zu halten und von den wirklichen Schwierigkeiten
abzulenken, einen Kulturpalast hingebaut. Aber
dann, stellte der Moderator empört fest,
mußten sich die Arbeiter um die Kultur
selber kümmern. Nach ihrer schweren Arbeit
mußten sie noch in dem Kulturpalast dichten,
malen, tanzen, ja, auch die Musik selber machen.
Davon, so schloß der Moderator seinen
Beitrag, sei Gott sei Dank nur der Kulturpalast
übrig geblieben. Die zweite Geschichte Das Jahr 2006 ist ein gutes Jahr
für die Literaturwissenschaft, denn vor
50. Jahren starb Brecht. Und also es ist wieder
günstig, über Brecht etwas auf den
Markt zu bringen. Und natürlich rät
der Markt, über Brecht nur das zu schreiben,
was vorher noch niemand geschrieben hat. Und
da das viele machen, ist am Ende das Viele immer
nur dasselbe: Es ist, auf den Punkt gebracht,
der seit dem vorigen Jahrhundert in Medien und
Presse beliebte und gut honorierte Versuch,
Brecht, wie er es selbst nannte, "die Reißzähne
zu ziehen". Kurz: Ihn der herrschenden
Meinung anzupassen, die ja, wie ein ebenfalls
nicht ganz passender Bärtiger aus Trier
einmal treffend sagte, immer die Meinung der
Herrschenden ist. Seine Konklusion: "Wir wollen mit unserer Arbeit eine Hilfestellung leisten, den neuen Brecht' zu entdecken, der bisher als kommunistischer Dichter diskreditiert wurde." Soweit der Professor aus Karlsruhe. Hier liegt, wie gesagt, der klassische
Fall von TUISMUS vor. Die TUIs (Brechts Umdrehung
des Begriffes "Intellektuell" in "Tellekt-Uell-In")
sind Leute, die ihren Verstand vermieten, um
gegen Honorar Sätze zu beweisen wie "Der
Regen fließt von unten nach oben.",
oder " Milch wird aus Käse gemacht.",
oder "Neue Arbeitsplätze schafft man,
indem man die Arbeitszeit von denen, die noch
arbeiten, verlängert." 3 Wahrscheinlich hätte ich meine Ausführungen an dieser Stelle beendet, denn der ursprüngliche Titel lautete: DIE ZERSTÖRUND VON KULTUR. In der Zwischenzeit hatte ich mich aber mit Brechts Versifizierung des "Kommunistischen Manifest" beschäftigt, das wir in Form eines Rezitativs mit Piano, Schlagzeug und zwei Schauspielern als unseren Beitrag zum 120. Geburtstage von Ernst Thälmann in Berlin aufführten. Brecht hatte 1945, zurückgekehrt aus der Emigration, den Text von Marx und Engels, den Brecht auch als Kunstwerk betrachtete, in Verse gebracht, um so zu seiner Verbreitung beizutragen. Einige Verse daraus gaben den direkten Anstoß, noch einmal über den Titel nachzudenken und DIE ZERSTÖRUNG VON KULTUR mit KULTUR DER ZERSTÖRUNG zu ergänzen. Riesige Krisen, in zyklischer
Rückkehr, gleichend enormen Soweit Marx, Engels und, Brecht. Geht man also davon aus, daß Marx, Engels in den Hexametern Brechts recht haben, ist vielleicht auch die Zerstörung von Kultur gar keine Entgleisung des kulturlosen Kapitalismus, der mal kurz aus seiner geregelten Bahn geworfen wird, es ist vielleicht seine geregelte Bahn? Wie die Arbeitslosigkeit für das Kapital ein Gewinn ist, kann vielleicht die Zerstörung von Kultur ebenfalls ein Gewinn sein? Sie kann zum Beispiel Platz schaffen, für eine ganz andere Kultur. Eine Kultur, von der das Kapital nicht ständig kritisiert wird, sondern die ihm die Treue hält. Ja, die es legitimiert. indem sie in den Köpfen der Menschen alle anderen Möglichkeiten der Gesellschaft tilgt und das Kapital zum ewigen Gott macht. Und vielleicht meinte Lenin diese "Kulturtat" des Kapitals, als er 1921 von den "zwei Kulturen" sprach, die sich im imperialistischen Zeiten gegenüber stehen? Und vielleicht ist die eine davon eben diese KULTUR DER ZERSTÖRUNG. Für die KULTUR DER ZERSTÖRUNG gibt es für mich in der heutigen Zeit ein beängstigendes Beispiel, das zugleich Stoff für eine Komödie des Moliere sein könnte. Es ist Die Zauberformel von der Alternativlosigkeit Gleich, ob die Deutsche Bank, bei einem Jahreszuwachs von 9 Milliarden 6000 Angestellte abbaut, ob Militärs von der Notwendigkeit ihrer Kriege in Jugoslawien, Afghanistan oder neuerdings im Kongo sprechen, ob die Deutsche Bahn, um mehr Hochgeschwindigkeitszüge fahren zu lassen, den Nahverkehr ganzer Gegenden lahmlegt, ob man, weil arbeitslose Jugendliche auch bei ihren Eltern wohnen können, ihnen das sowieso schon unzureichende Arbeitslosengeld kürzt, oder ob Theater das Schwarz der finsteren Zeiten auf der Bühne noch schwärzer machen, um den Leuten Lust und Hoffnung zu nehmen, den finsteren Zeiten zu entkommen, bei all denen findet man stets ein kleines Wörtchen und das heißt: alternativlos. In seiner fast alltäglichen Harmlosigkeit, als sei es dem Spieltisch entnommen, verbirgt es die Tatsache, daß mit ihm ganze Zeitalter menschlicher Entwicklung rückgängig gemacht werden. Denn es verkündet absoluten Stillstand. Wo einstmals "Schicksal" gesagt wurde, um anzudeuten, daß es davor kein Entrinnen gibt, sagt man jetzt "Sachzwang", und wo einst der Fluch der Atriden das Unglück heraufbeschwor, ist es heute die "Alternativlosigkeit". Es ist die Zauberformel, mit der
das Kapital endgültig die Weltherrschaft
antreten möchte und zwar auf Dauer. Verkündend
das Ende aller Ideologien, braucht es allerdings
dafür eine besonders starke Ideologie.
Und die heißt: Alles bleibt, wie es ist,
weil es zum Kapitalismus keine Alternative gibt.
Und da man Veränderungsmöglichkeiten
derart leugnet, zeigt das, wie sehr man sie
fürchtet. Zwar wird Sieg über den
Sozialismus täglich verkündet, aber
man fürchtet offenbar den Sozialismus mehr
als je zuvor. Von den Kathedern, den Kanzeln,
den Bildschirmen predigt man unablässig
die Sinnlosigkeit jeder Veränderung des
gesellschaftlichen Systems. Man diskreditiert,
vom Sklavenaufstand des Spartakus angefangen,
systematisch alles, was Revolutionen hervorgebracht
haben und nimmt damit den Menschen Fähigkeit
und Mut, Alternativen überhaupt zu denken.
Die stereotype Behauptung, diese Welt sei vielleicht
nicht die beste, aber die heute einzig mögliche,
soll zum allgemeinen Alltagbewußtsein
der Bevölkerung werden, denn das bietet
mehr als jede Gewalt eine zuverlässige
Sicherung der Herrschaft des Kapitals. Die Meinung, daß die Frage, wem was gehört, also die Frage nach dem Eigentum für die linke Bewegung heute keine Bedeutung mehr habe, kann man natürlich nicht zur KULTUR DER ZERSTÖRUNG zählen, denn sie selbst ist das Resultat davon. Diese Meinung ist bereits zerstörte linke Kultur. Brecht, 1935 auf dem Schriftsteller-Kongreß "Zur Verteidigung der Kultur" in Paris, konfrontiert mit der Forderung, zur Herstellung der Volksfront gegen Barbarei und Gewalt von humanen Werten auszugehen und nicht von Eigentumsfragen, antwortete: Warum wird
die Kultur über Bord geworfen wie ein Ballast,
jene Reste der Kultur, die uns übrig geblieben
sind; warum wird das Leben von Millionen von
Menschen, der allermeisten Menschen so verarmt,
entblößt, halb oder ganz vernichtet? 4 Ich komme zum Schluß und
ich versprach, am Schluß zu sagen, was
ich unter dem Kulturbegriff - unserem Kulturbegriff
- verstehe. a Der Mensch, nicht nur biologisch, sondern vor allem historisch bestimmt, verliert durch seine Produktion mehr und mehr die natürliche Anpassungsfähigkeit an die Umwelt und ist als "biologisches Mängelwesen" gezwungen, sich eine eigene Umwelt künstlich zu schaffen, in der die Befriedigung seiner Bedürfnisse zugleich stets neue Bedürfnisse erzeugt. Sich selbst produzierend, indem er produziert, wird der Mensch zu einem kulturellen Wesen, das sich stets neu hervorbringt. Kultur als Humanisierungprozeß des Menschen, seine Alternative ist höher entwickeln oder zugrunde gehen. b István Hermann über den Kulturbegriff: Der Mensch reproduziert sich selbst dauernd, und die einzige Frage ist, ob er, während er die Produktion in einer erweiterten Form reproduziert, fähig ist, auch sich selbst in einer erweiterten Form zu reproduzieren. Mit anderen Worten, die Frage, auch bei Marx, besteht darin, ob es dem Subjekt mittels der Freizeit gelingt, sich zu einem anderen Subjekt zu gestalten und auf diese Weise als ein neues entwickeltes Subjekt in die Produktion zurückzukehren. Gelingt ihm das, realisiert sich in der Freizeit die Einheit der gesellschaftlichen Voraussicht und der individuellen Voraussicht, dann wird schon ein grundlegendes Moment des menschlichen Kulturentwicklungsprozesses deutlich. Gerade der Begriff der Voraussicht spielt bei Marx eine wichtige Rolle. Denn Voraussicht heißt ständiges Neuentwerfen des Menschen im Sinne des menschlichen Selbstwerts, der so sein Leben nicht nur sichert, sondern ständig erweitert und das Erweitern spielend genießt. 5 Um noch einmal auf die Eingangsfrage
nach dem Verhältnis von Politik und Kultur
zurückzukommen, scheinen mir Wolfgang Harich
und István Hermann auch dabei eine Hilfe
zu sein. Wenn ich sie richtig verstehe, kann
es in der Frage des Verhältnisses zwischen
Politik und Kultur keine Nachordnung der Kultur
geben. da es ja, marxistisch gesehen, zum Beispiel
auch eine Kultur der Politik gibt, oder sagen
wir, geben sollte. Oder eine Kultur des Denkens.
Ja, auch eine Kultur des Streites. Nicht nur, weil sich der Todestag von Brecht bald zum 50. Mal jährt, hier am Ende noch einmal Brecht. Hören wir, was er seinen Galilei über Die Kultur des Denkens und Streitens sagen läßt: Meine Absicht ist nicht zu beweisen, daß ich bisher recht gehabt habe, sondern: herauszufinden, ob. Ich sage, laßt alle Hoffnung fahren, ihr, die ihn nun in die Beobachtung der Sonnenflecken eintreten werdet. Vielleicht sind es Dünste, vielleicht sind es Flecken, aber bevor wir Flecken annehmen, welche uns gelegen kämen, wollen wir lieber annehmen, daß es Fischschwänze sind. Ja, wir werden alles, alles noch einmal in Frage stellen Und was wir heute finden, werden wir morgen von der Tafel streichen und erst wieder anschreiben, wenn wir es noch einmal gefunden haben. Und was wir zu finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit besonderem Mißtrauen ansehen. Also werden wir an die Beobachtung der Sonne herangehen mit dem unerbittlichen Entschluß, den Stillstand der Erde nachzuweisen. Und erst wenn wir gescheitert sind, vollständig und hoffnungslos geschlagen und unsere Wunden leckend, in traurigster Verfassung, werden wir zu fragen anfangen, ob wir nicht doch recht gehabt haben und die Erde sich dreht . Sollte uns aber dann jede andere Annahme als diese unter den Händen zerronnen sein, dann keine Gnade mehr mit denen, die nicht geforscht haben und doch reden. Nehmt das Tuch vom Fernrohr und richtet es auf die Sonne! Ich danke, für Eure
Aufmerksamkeit. veröffentlicht
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